Kurzhistorie des HI-Virus und der Forschung dagegen

HIV wurde vermutlich in West-Zentralafrika von Affen auf den Menschen übertragen. Mittels statistischer Analysen (sogenannte molekulare Uhr) lässt sich das Zeitfenster für diese Übertragung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Jahre zwischen 1902 und 1921 eingrenzen.

Die älteste Blutprobe von einer mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV) infizierten Person stammt aus dem Jahr 1959 aus Belgisch-Kongo. Es ist wahrscheinlich, dass diese Person auch an AIDS erkrankte.

Erste klinische Beobachtung und öffentliches Bewusstsein für AIDS

Erst 19981 wurde AIDS in Los Angeles in den USA erstmals klinisch beobachtet, in Form einer beeinträchtigten Immunität ohne bekannte Ursachen. Die Symptome glichen einer seltenen Infektion in Form einer Lungenentzündung, von der bekannt war, dass sie bei Menschen mit sehr geschwächtem Immunsystem vorkommt. Viele Betroffene entwickelten ebenfalls einen bis dahin seltenen Hautkrebs namens Kaposi-Sarkom.

1983 beschrieben zwei voneinander unabhängige Forschergruppen unter Leitung von Robert Gallo in den USA und Luc Montagnier in Paris, dass ein neuartiges Retrovirus AIDS-Patienten infiziert haben könnte, und veröffentlichten ihre Erkenntnisse in derselben Ausgabe der Fachzeitschrift Science. Für diese Entdeckung des HI-Virus erhielt Luc Montagnier gemeinsam mit seiner Kollegin Françoise Barré-Sinoussi 2008 den Nobelpreis für Medizin.

Im Juni 1983 berichtet die Zeitschrift „Der Spiegel“ unter dem Titel „Tödliche Seuche AIDS – Die rätselhafte Krankheit“ über AIDS. Damit wurde die breite deutsche Öffentlichkeit erstmals über die Infektionskrankheit informiert.

Schnelle medizinische Fortschritte aus der Forschung

Bereits 1984 gab es erstmals die Möglichkeit, mithilfe eines Antikörpertests herauszufinden, ob eine Person das HI-Virus in sich trägt.

Nur 4 Jahre nach der ersten klinischen Beobachtung von AIDS und 2 Jahre nach der erstmaligen Beschreibung von HIV, wies 1985 der japanische Virologe Hiroaki Mitsuya die Wirksamkeit der Substanz Azidothymidin (AZT) gegen das HI-Virus nach. Das ursprünglich als Krebsmedikament entwickelte AZT ist ein nukleosidischer Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI). Es hemmt die Aktivität eines Schlüsselenzyms von HIV, die Reverse Transkriptase, und unterbindet damit die Vervielfältigung des Virus. Im Juli 1986 erhielt der erste HIV-infizierte Patient AZT.

Am 1. Oktober 1986 begann die Pflicht zum Testen von Blutprodukten auf HIV-Antikörper.

Im März 1987 wurde AZT unter den Handelsnamen Retrovir® als erstes HIV-Medikament in den USA zugelassen – ein erster Meilenstein für die Behandelbarkeit der HIV-Infektion. Das Medikament AZT konnte die Krankheit zwar nicht heilen, jedoch der Vermehrung von HIV im Körper entgegenwirken und die Lebenserwartung von Betroffenen erhöhen.

1989 durfte das zweite antiretrovirale Medikament mit dem Wirkstoff Didanosine noch vor der Zulassung in 1991 in den USA verschrieben werden. Im darauffolgenden Jahr erlaubte die amerikanische Arzneimittel-Zulassungsbehörde FDA, dass die dritte Substanz gegen HIV, Zalcitabine bereits vor der Zulassung im Jahre 1992 verschrieben werden darf.

1995 zeigten Studien, dass die kombinierte Behandlung mit zwei Wirkstoffen besser als eine Monotherapie funktionierte. Eine Zweier-Kombination von AZT mit Didanosine oder Zalcitabine wurde als antiretrovirale Therapie damit zum Standard im Kampf gegen das Virus.

Die FDA ließ 1995 mit Saquinavir den ersten Protease-Hemmer, welcher ein weiteres Schlüsselenzym von HIV blockiert, als neuartigen Ansatz in der HIV-Therapie zu. Die Zulassung in Europa erfolgte im Oktober 1996. Mit dem Protease-Hemmer stand nun, neben der bis dahin einzigen zugelassenen Medikamentenklasse der Reverse-Transkriptase-Hemmer, eine zweite Medikamentenklasse für die Behandlung einer HIV-Infektion zur Verfügung.

Im März 1996 erhielten die weiteren Protease-Hemmer Indinavir und Ritonavir die Zulassung in den USA und Europa. Im September 1996 wurde mit Nevirapin der erste Vertreter der Nicht-nukleosidale Reverse Transkriptase-Hemmer (NNRTI) in den USA zugelassen (in Europa 1997).
In der Kombinationstherapie entwickeln sich NNRTIs zu einem wichtigen Baustein.

Großer Durchbruch in der HIV-Therapie: Antiretrovirale Kombinationstherapie

Auf der XI. internationalen AIDS-Konferenz im kanadischen Vancouver wird die sogenannte antiretrovirale Kombinationstherapie erstmals vorgestellt. Dabei werden mehrere antiretroviral wirkende Medikamente mit dem Ziel kombiniert, das HI-Virus dauerhaft in seiner Vermehrung zu hemmen und so den Ausbruch von AIDS zu verhindern.

Wenn HIV sich vermehrt, bilden sich unzählige neue Viren. Da das Genom von HIV millionenfach schneller mutiert als das menschliche Genom, verändert sich das Virus ständig und es entstehen immer wieder neue Varianten von HIV. Einige dieser neuen Virusvarianten vermehren sich, obwohl sich der Wirkstoff bestimmter HIV-Medikamente im Körper befindet. Sie sind dann resistent gegen diese Medikamente und diese wirken nicht mehr.

Nicht ein einzelnes neues Medikament brachte den Durchbruch im Kampf gegen den Ausbruch von AIDS, sondern die Kombination mehrerer. Wenn ein Medikament nicht mehr wirkt, greift ein anderes. Darum werden in der Standardtherapie immer mehrere Medikamente gleichzeitig in einer Kombination eingesetzt. Die Etablierung der Kombinationstherapie war der bislang größte Meilenstein in der Behandlung einer HIV-Infektion. Bedeutete vor 1996 ein positiver Test noch ein sicheres Todesurteil, ist sie mittlerweile in den meisten Fällen in eine chronische Krankheit umgewandelt worden. Die Betroffenen können ein langes Leben führen, was aber auch heißt ein Leben lang auf Medikamente angewiesen zu sein, da das Virus nach der Infektion nicht mehr aus dem Körper eliminiert werden.

Aufgrund von Resistenzenbildungen und Unverträglichkeiten gegen die existierenden Medikamente ging und geht die Entwicklung von neuen Medikamenten immer weiter.

Im März 2003 erhielt der erste Fusions-Hemmer mit dem Wirkstoff Enfurvirtid die EU-weite Zulassung. Er verhindert das Verschmelzen der Zellmembran mit dem Virus.

2005 begannen die ersten klinischen Studien mit Integrase-Hemmern. Die  Integrase, ein weiteres Schlüsselenzym von HIV, baut virale DNA-Stränge in die Wirtszelle ein.

Im August 2007 wurde der erste Entry-Hemmer mit dem Wirkstoff Maraviroc in den USA und im September in Europa zugelassen. Er verhindert, dass das HI-Virus über einen bestimmten Ko-Rezeptor in die Körperzelle eindringt.

Der Integrase-Hemmer Raltegravir nahm im Oktober 2007 in den USA den „fast track“, die beschleunigte Zulassung, und durfte ab Dezember auch in Europa auf den Markt gebracht werden. Es ist das erste zugelassene Medikament der Wirkstoffklasse der Integrase-Hemmer.

2016 begann die Vermarktung einer Einzeltablette mit vier Wirkstoffen.

Präexpositionsprophylaxe: Bevor das Virus angreift

2012 hat die amerikanische Food and Drug Administration eine Kombination der Wirkstoffe Tenofovir und Emtricitabin, welche zur Medikamentenklasse der nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmer gehören, in Tablettenform zur HIV-Prävention zugelassen. Am 22. August 2016 hat die Europäische Kommission unter Auflagen die Zulassung von Tenofovir und Emtricitabin als Truvada® zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) erteilt. Seitdem dürfen Ärzte Truvada® gesunden Erwachsenen mit hohem Infektionsrisiko zur PrEP verordnen. Das Arzneimittel ist Teil einer Gesamtstrategie zur Prävention einer HIV-Ansteckung. In Verbindung mit regelmäßigen Arztbesuchen, Kontrolluntersuchungen und Safer-Sex-Praktiken soll Truvada® das Risiko einer Ansteckung mit HIV reduzieren.

Ausblick

Die HIV-Therapie ist eine Geschichte von beschleunigten, improvisierten Zulassungen zum Wohle der Patienten. Nach dem 1996 in Vancouver verabschiedeten Prinzip der Kombinationstherapie wird HIV bis heute behandelt. Die Menschheit verfügt heute über mehr als 30 Arzneimittel mit 25 Wirkstoffen in sechs verschiedenen Klassen von Medikamenten. Jede Klasse wirkt anders.

Fünf weitere Medikamente für die HIV-Therapie sind laut Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) in der Entwicklung. Diese sollen unter anderem zwei weitere Wirkprinzipien einführen: die Attachment- und die Reifungs-Hemmung. Mit jedem weiteren Wirkprinzip erhöhen sich die Chancen, dass HI-Viren dauerhaft in ihrer Vermehrung blockiert werden können und dass die Gefahr der  Resistenzbildung eingeschränkt wird. Eines der Medikamente wird zusätzlich auf seine Eignung zur HIV-Vorbeugung erprobt.

Die moderne medizinisch-biologische Forschung hat beim Kampf gegen HIV gezeigt, was moderne wissenschaftliche Forschung und ihre translationale Umsetzung in eine Therapie alles zum Wohle von HIV-infizierten Patienten erreichen kann.

Bildquelle: © aescuvest GmbH, adaptiert von ’Science For The People’, Cambridge, Massachusetts, 1984